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Wir ziehen (Zwischen-) Bilanz

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Eineinhalb Jahre nach seiner Gründung ziehen einige Aktive des Fuß- und Radentscheid Ende 2020 eine Zwischenbilanz.

Im Sommer 2019 fanden sich rund ein Dutzend vornehmlich junge Menschen im Büro des VCD-Regionalverbands Südbaden ein um über einen möglichen Radentscheid nach Berliner Vorbild in Freiburg zu diskutieren. Nach dem Stuttgarter Radentscheid wäre die Freiburger Initiative die zweite in Baden-Württemberg, die diesen Weg geht.

Bei den ersten Treffen wurde viel über die Frage diskutiert, welchen Umfang bzw. welche Zielrichtung unser Bürgerbegehren haben sollte. Uns war die starke Fokussierung auf den Radverkehr, wie bei den meisten anderen Initiativen in Deutschland, zu eng. Recht bald entschlossen wir uns den Fußverkehr mit in unser Bürgerbegehren aufzunehmen. Uns war klar, dass die Neuverteilung der Verkehrsflächen der Schlüssel zur Verkehrswende ist. Dabei sollten sich aber nicht der Fuß- und Radverkehr die wenigen Flächen unter einander streitig machen, sondern es sollte gemeinsam daran gearbeitet werden, dass die notwendigen Flächen für den FR-Verkehr zu Lasten des bisher massiv priorisierten motorisierten Individualverkehrs gehen müssen.

Es gab auch nicht wenige Stimmen, die den ÖPNV mit in das Bürgerbegehren aufnehmen wollten. Weil beim ÖPNV aber der Planungshorizont sehr viele Jahre umfasst, große Unterhaltskosten nach dem Bau verursacht und die Investitionen noch mehr als bei Maßnahmen für den Fuß- und Radverkehr von Förderprogrammen von Bund und Land abhängen, entschieden wir, den Fokus auf dem Fuß- und Radverkehr zu belassen. Ein weiterer Grund, den ÖPNV außen vor zu lassen ist die Tatsache, dass der ÖPNV fast immer über die Stadtgrenzen hinweg gedacht werden muss. Die Stadt Freiburg baut seit einigen Jahrzehnten ihr Straßenbahnnetz aus und hat auch im Gemeinderat bereits ein Ausbauprogramm 2030 beschlossen. Die großen Potenziale aber bieten die Zugverbindungen in die Region, die mit dem Breisgau-S-Bahn Konzept bereits angegangen werden und durch das 3. und 4. Gleis der Rheintalbahn noch einmal einen großen Schub erleben werden. Regionale Verkehrsprojekte entziehen sich aber juristisch dem Instrument des Bürgerbegehrens auf kommunaler Ebene.

Auftaktveranstaltung Oktober 2019

Auftaktveranstaltung im HdE

Am 14. Oktober 2019 versammelten sich rund vierzig Aktive des Fuß- und Radentscheids zur Auftaktveranstaltung im Haus des Engagement in der Rehlingstraße. Außerdem waren Gemeinderät:innen und ein Vertreter der Stadtverwaltung anwesend. In diesem Workshop versuchten die Teilnehmer:innen die Forderungen zu konkretisieren und die Visionen von einer besseren Lebensqualität, mehr Sicherheit im Straßenverkehr, Flächengerechtigkeit und mehr Klimaschutz mit Leben zu füllen.

Herbst und Winter galten dann der Arbeit an den Forderungen sowie an der Erstellung unser Website. Uns war es von Anfang an wichtig, eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Deshalb haben wir zuerst in unseren Visionen aufgeschrieben, was wir uns für die Zukunft in Freiburg wünschen. Unsere Schlagwörter hierfür: Lebensqualität, Sicherheit, Klimaschutz und Flächengerechtigkeit. Außerdem betrieben wir die Akquise von ersten Spenden und Fördermitteln, um unsere Öffentlichkeitsarbeit und unsere Weiterbildung zu organisieren. Wir hatten Großes vor! Wir wollten gemeinsame Exkursionen mit Gemeinderät:innen und Mitgliedern der Stadtverwaltung in andere Städte und Kommunen organisieren, sowie Konferenzen mit Expert:innen und Veranstaltungsreihen. Im März allerdings brach die Corona-Pandemie auch über Freiburg herein und alle Planungen in Bezug auf unseren eigentlich geplanten Start der Unterschriftensammlung bei der großen Fridays for Future-Demonstration Anfang April waren zunächst einmal hinfällig.

Corona Pandemie – PopUp Bike Lanes / Gehrechtigkeits Demo

PopUp Bike Lane

In den ersten Wochen der Pandemie waren auch wir als Bürgerinitiative erst einmal gelähmt bzw. mit anderen Dingen beschäftigt. Inspiriert durch den Erfolg der PopUp Radwege in Berlin traten aber auch wir mit unseren Forderungen an die Öffentlichkeit. In einer kleinen Telefonkonferenz unter einer Handvoll Aktiven des Fuß- und Radentscheids beschlossen wir, für den 24. April eine Demonstration auf dem Schlossbergring anzumelden. Wir wollten den Freiburger:innen zeigen, dass selbst in einer Betonhölle wie auf dem Schlossbergring mit wenig Aufwand eine passable Infrastruktur für den Radverkehr entstehen kann. Rund einen Monat später griff Greenpeace die Idee der PopUp Radwege in einer bundesweiten Aktion noch einmal auf.

Es blieb aber nicht bei dieser einen Demo. Wenige Wochen später beauftragte der Gemeinderat die Stadtverwaltung herauszufinden, wo mit schnellen Maßnahmen Platz geschaffen werden kann um den zahlreichen zu Fuß gehenden und Rad fahrenden ausreichend Platz einzuräumen. Am 18.06. legten wir mit einer Geh-rechtigkeits-Demo durch die Wiehre noch einmal nach, denn nicht nur der Radverkehr braucht ausreichend Platz in unserer Stadt. Praktisch nebenher liefen die Konkretisierungen der Forderungen in Rücksprache mit unserem Anwalt sowie die logistischen Vorbereitungen für den Start der Unterschriftensammlung am 01.Juli.2020.

Unterschriftensammlung & Übergabe

Uns war es wichtig, noch vor den Sommerferien mit dem Sammeln zu beginnen, wenngleich die Reisemöglichkeiten 2020 aufgrund der Pandemie eingeschränkt waren. Zudem zeichnete sich ab, dass das Thema Mobilität im Juli auf der Tagesordnung des Gemeinderats stehen würde. Am 14. Juli nutzten wir den Rückgang des Infektionsgeschehens für eine Debatten Arena im Bürgerhaus Zähringen. Wir übertrugen die Veranstaltung zwar live ins Internet, aber auch eine Teilnahme vor Ort war möglich. Der erhoffte Austausch mit den in den „sozialen Medien“ teilweise sehr lautstarken Gegner:innen der Verkehrswende kam leider nicht zu Stande, denn im Saal waren vor allem Befürworter:innen des Fuß- und Radentscheids.

Ein weiteres Element unserer Kampagne waren Fahrraddemonstrationen, die wir an jedem zweiten Freitag des Monats gemeinsam mit Fridays for Future Freiburg organisierten. Bis zu eintausend Radfahrer:innen beteiligten sich im Juli, August und September jeweils an den Demonstrationen. Eine besondere Aktion war die Kidical Mass vom 19.09. die in mehr als 100 Städten bundesweit stattfand und der kommenden Generation eine Stimme verlieh.

Der wichtigste Teil dieser Phase waren allerdings die unzähligen Sammelaktionen eines großen hervorragend motivierten Kreises von Freiwilligen, die an unterschiedlichsten Orten in Freiburg Unterschriften für die beiden Bürgerbegehren sammelten.

Rechtsgutachten der Stadt Freiburg / Verhandlungen mit den Fraktionen

Unser Ziel war von vornherein, die mindestens notwendigen 12.000 Unterschriften pro Bürgerbegehren innerhalb von drei Monaten zu sammeln. Wöchentlich wurde dafür im VCD Büro der aktuelle Stand der abgegeben Unterschriften erfasst. Allerdings hielten wir uns mit der Veröffentlichung der Zahlen zurück, weil es zum einen zeitlichen Verzug zwischen gesammelten und gezählten Unterschriften gab. Denn zum Teil lagen Unterschriftenlisten in Geschäften aus oder Helfer:innen sammelten erst einmal ausgefüllte Listen bei sich zu Hause und brachten dann gleich einen große Packen auf einen Schlag. Zum anderen konnten wir beim Zählen der Unterschriften nicht verifizieren, wie viele gültige Unterschriften wir hatten. Wir konnten ja nicht prüfen ob die Unterschreibenden wirklich in Freiburg gemeldet waren.

Erst gegen Ende August kristallisierte sich langsam heraus, dass wir es schaffen würden. Einen ersten Dämpfer erfuhr unsere Initiative allerdings noch bevor wir die Unterschriften offiziell übergeben hatten. Die Verwaltungsspitze hatte ihr Rechtsamt beauftragt, unsere Bürgerbegehren juristisch zu prüfen. Im Ergebnis war das Rechtsamt der Meinung, dass beide Bürgerbegehren unzulässig seien und in dieser Form nicht als Bürgerentscheide zur Abstimmung gestellt werden dürften. Wir teilen diese rechtliche Einschätzung auch nach Rücksprache mit unseren Anwälten bis heute nicht, setzten aber auf Verhandlungen mit dem Gemeinderat. Schließlich war und ist unser oberstes Ziel nicht die Durchführung der beiden Bürgerentscheide, sondern die Verbesserung der Fuß- und Radverkehrsinfrastruktur in Freiburg.

Trotz des juristischen Gegenwinds übergaben wir am 10.Oktober 2020 mehr als 41.000 Unterschriften für die beiden Bürgerbegehren an den zuständigen Baubürgermeister Martin Haag! Damit haben wir die gesetzlich notwendige Anzahl von 12.000 Unterschriften je Bürgerbegehren trotz der Corona Einschränkungen während der Sammelphase deutlich übertroffen! Vielen Dank nochmals an alle die sich an der Sammlung beteiligt haben!

Entscheidung im Gemeinderat

Unsere Aktiven vor der Gemeinderatssitzung

Wir versuchten, Gesprächstermine mit allen Fraktionen des Gemeinderats (ohne AfD) zu führen. Bis auf die Freien Wähler konnten wir uns auch mit allen demokratischen Fraktionen austauschen und stießen auf eine überwiegend positive Resonanz. Gemeinsam mit den Fraktionen der Grünen, von JUPI und von Eine Stadt für Alle bereiteten wir Änderungsanträge für die Sitzung am 08.12. vor, in der der Gemeinderat über die Zulässigkeit der beiden Bürgerbegehren entscheiden würde. Die Unterstützung der Mehrheitsfraktionen ermöglichte es uns auch, gegen den Willen der Stadtverwaltung unsere beiden Bürgerbegehren in einer kurzen Rede zu Beginn der Sitzung vorzustellen. Die Abstimmung ergab eine große Mehrheit des Gemeinderats für den gemeinsam ausgearbeiteten Änderungsantrag, der unter anderem folgende Formulierung enthält:

“Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, die Zielvorstellungen der beiden Bürgerbegehren umzusetzen. Dabei sind insbesondere die in den Anlagen 1 und 2 zur Drucksache G-20/266 von der Initiative FR Entscheid unterbreiteten Vorschläge in Abstimmung mit dem Gemeinderat und seiner Gremien zu konkretisieren und im Rahmen der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen umzusetzen. Ab Mitte 2022 ist jährlich über den Stand der Umsetzung zu berichten.”

Da dieser Beschluss nur umgesetzt werden kann, wenn im Haushalt der Stadt Freiburg die dafür notwendig Mittel bereitgestellt werden, wirbt der Fuß- und Radentscheid für eine breite Unterstützung seiner Forderung nach Finanzierung der Verkehrswende. Dazu haben alle Freiburger:innen jetzt die Gelegenheit sich im Rahmen des Beteiligungshaushalts der Stadt Freiburg für die ausreichende Finanzierung des Fuß- und Radentscheids mit ihrer Stimme einzusetzen.